Es scheint sich durchzusetzen, dass ich statt zu Rezensionen zu mehrseitigen Blogbeiträgen inspiriert werde.
Der Schuldige diesmal: "Seiltanz - Der Autor und sein Lektor", eine Anthologie zum 50. Geburtstag von Thorsten Ahrend.
Heute also mal wieder was ganz anderes: ein Blick hinter die Kulissen im Verlag. Viele von euch kennen die Abläufe einer Buchveröffentlichung vielleicht schon, doch es gibt sicherlich auch viele Autoren, die sich fragen, was mit ihrem "Baby" im Verlag passieren wird. Andere haben den Prozess vielleicht schon durchlaufen, fragen sich aber immer noch, wie die Magie passiert.
Für alle Interessierten also mein persönlicher Blick auf eine Buchveröffentlichung - ich glaube, als Bachelor der Buchwissenschaft und Mitarbeiterin in diversen Verlagen kann ich das ein wenig beurteilen.
Anderslautende Erfahrungen sind in den Kommentaren gern gesehen.
1. Akquise
Das Buch kann auf mehreren Wegen zum Verlag gelangen:
~ unverlangt eingesendetes Manuskript (noch immer die häufigste Methode, eine Veröffentlichung anzustreben und auch immer noch die mit den meisten Fehlschlägen.
Bitte prüft vor der Einsendung, ob der Verlag überhaupt euer Genre veröffentlicht, googlet, wie man ein Exposé schreibt, lasst Freunde korrigieren - Duden online ist kostenlos!)
~ eingekaufte Übersetzung (Lektor liest von einem tollen fremdsprachigen Buch, fragt bei Agentur / ausländischem Verlag nach Rechten an deutscher Übersetzung, kauft Rechte ein, Buch wird übersetzt, dann weiter unter 2.)
~ von Agentur vorgeschlagenes Manuskript (Literaturagenturen setzen sich im deutschsprachigen Raum nicht so sehr durch wie im englischsprachigen, dennoch sind sie gut auf ihre Klienten und Kunden eingestellt und schlagen meist interessante Titel vor, weiter unter 2.)
~ der Verlag tritt an den Autor mit einer Idee heran und bittet ihn, das Buch dazu zu schreiben (eher im Sachbuchbereich zu finden und schon gar nicht bei Neuautoren)
Glückwunsch: Jemand im Verlag interessiert sich für euer Manuskript. Nun liest ein*e Lektor*in das vollständige Werk und schreibt darüber eine kurze Beurteilung. Diese legt er*sie dem Rest des Teams vor. Sofern einer Publikation zugestimmt wird, wird ein Vertrag ausgefertigt. Ihr erhaltet einen Verlagsvertrag (ggfs. über eure Agentur), in dem die Konditionen der Veröffentlichung festgehalten sind (wie prozentuale Anteile am Verkauf, Autorenexemplare, E-Book-, Film- oder Hörbuch-Rechte etc.). Ihr entscheidet, ob ihr mit den Konditionen einverstanden seid oder noch verhandeln wollt. Informiert euch über übliche Konditionen und beschwert euch, falls der Verlag euch über den Tisch ziehen will! Beachtet dabei aber bitte auch, dass Kleinverlage oftmals nicht die nötigen Mittel haben, euch den fünfstelligen Vorschuss eines Stephen King zu zahlen. Schon gar nicht, wenn man (noch) kein Stephen King ist.
Ein Warnhinweis direkt voraus: Autoren sollten nichts für die Veröffentlichung zahlen. Bitte nehmt euch in acht vor sogenannten Druckkostenzuschussverlagen (DKZV, Liste siehe unten)!
Nach der Unterschrift sollte für den*die Autor*in das Marketing beginnen. Erzählt euren Lesern von eurem neuen Buch, postet ein zensiertes Foto vom Vertrag, macht sie neugierig, schreibt Werkstattberichte, informiert über den Schreibfortschritt, Auftritte zwischendurch oder die Erlebnisse im Verlagsalltag!
2. Überarbeitung
Dann beginnt die eigentliche Manuskriptarbeit: Ihr denkt, euer Buch ist perfekt und kann direkt in Druck? Bitte befreit euch sofort von dieser Illusion. Ihr werdet euer Buch, gemeinsam mit dem*der euch zugewiesenen Lektor*in, noch mehrfach überarbeiten.
Dazu gehören (alles optional) das Umstellen von Szenen & Kapiteln, das Streichen von unnötigen Plots, das Auslöschen geliebter Figuren, das Schmieden neuer Pläne und die völlige Frustration angesichts dessen, wie oft man ein Buch lesen muss. Daher ist es immer gut, wenn ihr beim Schreiben schon einen Überblick über eure Kapitel / Figuren / Handlungsstränge habt, das erleichtert die Arbeit sehr. Habe ich schon erwähnt, wie sehr ich Listen und Tabellen liebe?
Der Vollständigkeit halber: Bei einem Übersetzungslektorat wird natürlich nicht mehr im Text herumgefuhrwerkt, hier wird nur auf einen sprachlichen Abgleich mit dem Original und Denglisch geachtet.
Nun kommen die Grafiker*innen ins Spiel: ein*e Layouter*in setzt das Buch (oft in InDesign) und meist gestaltet ein*e Designer*in das Cover. Auch hier gilt es, die unterschiedlichen Vorstellungen von Autor, Lektor und Designer abzugleichen.
Nun braucht das Buch auch einen aussagekräftigen Klappentext, einen griffigen Titel und marketingwirksame Werbetexte. In größeren Verlagen stimmt sich das Lektorat nun mit der Marketingabteilung ab, in kleineren Verlagen arbeitet das Lektorat eng mit dem Autor zusammen.
Sobald das Gerüst steht und alle Beteiligten mit dem Inhalt zufrieden sind, geht es in einem guten Verlag (!) weiter zum Korrektorat. Dort wird das Buch von einem*r Korrektor*in gelesen, um alle eingeschlichenen und verbliebenen Rechtschreib-, Grammatik-, Einheitlichkeits- und Kommafehler zu beseitigen.
Ist das Buch vor dem Korrektorat gesetzt worden (oder Neudeutsch gelayoutet), kann der*die Korrektor*in direkt falsche Umbrüche und fehlerhafte Grafiken verbessern.
Wird das Buch nach dem Korrektorat gelayoutet (kann aus Zeitgründen vorkommen), wird vom Lektorat nochmal eine gründliche Umbruch- und finale Fehlerkorrektur vorgenommen.
Schließlich wird das Buch zur Druckerei geschickt (das Lektorat hat vorher verschiedene Angebote eingeholt und verglichen). Diese pflegt es in ein Druckprogramm ein und schickt dem Lektor eine sogenannte Fahne. Das ist die definitive Druckversion und die letzte Möglichkeit, Fehler auszumerzen. Erteilt der*die Lektor*in die Imprimatur (lat. für "Es werde gedruckt!"), geht das Buch in Druck.
Das fertige Buch wird dann
~ an die Auslieferung (die Bestellungen bearbeitet)
~ das Lager (wo die Bücher lagern),
~ die Nationalbibliotheken (jede erhält ein Pflichtexemplar von jedem veröffentlichten Buch),
~ den Verlag (zur Überprüfung und Archivierung) und
~ den Autor geschickt.
Der Autor kann seine Belegexemplare nun bewundern, verlosen oder wehrlosen Verwandten schenken. Weitere Exemplare darf er mit seinem Autorenrabatt beim Verlag ordern.
3. Datenmanagement
Das, was man als Autor selten miterlebt, ist die Arbeit hinter den Kulissen im Verlag - eines Tages erscheint das eigene Buch einfach magisch im Internet und ist vorbestellbar? Nein, das haben die fleißigen Verlagselfen eingepflegt.
Dazu gehören:
~ Das Einholen / Verhandeln von Druckangeboten
~ Kalkulation des Budgets, des Buchpreises und der Honorare aller Beteiligten
~ Die Organisation der verschiedenen Beteiligten und die Einhaltung des Zeitplans zur Veröffentlichung (nicht umsonst heißt ein Lektor heute oft Projektmanager)
~ Ausfertigung von Verträgen für alle Beteiligten
~ Die Zusammenarbeit mit Marketing und Vertrieb, um Ideen zur Vermarktung auszutüfteln
~ Das (Be)stellen der ISBN-Nummern (eine für jede Variante - Print, E-Book, überarbeitete Auflage, ...!)
~ Die Eingabe aller Daten im dem Verzeichnis Lieferbarer Bücher (VLB, womit der gesamte Buchmarkt arbeitet!)
~ Die Korrektur der Daten bei Amazon (oft mehrmals, da es dort viele Glitches gibt - Amazon ist nur so gut, wie die Datenpflege dahinter.)
~ Interne Datenpflege im Verlagsprogramm und der Verlagshomepage (Autorenseite mit Biographie, Verlinkungen, Produktseiten in Shops etc.)
~ Information der Barsortimente (KNV, Libri und Umbreit sorgen dafür, dass fast jedes Buch innerhalb eines Tages in jeder Buchhandlung verfügbar ist) und ggfs. der Vertreter
~ Anmeldung des E-Books / Hörbuchs bei entsprechenden Partnerunternehmen
~ Gestaltung einer Verlagsvorschau, die auf Messen und in Bestellungen verteilt wird, sowie von Werbematerialien wie Lesezeichen, Buttons, Goodie-Bags, Leseproben, Shirts, Postern und und und
~ Erstellung des E-Books auf Basis der Druckvorlage (ein ganz eigenes Kapitel an Komplikationen...)
4. Marketing
So, jetzt ist es geschafft. Das Buch ist inhaltlich und äußerlich hübsch, gedruckt und bereit für seinen großen Auftritt. Jetzt ist alles vorbei. Vorbei? Weit gefehlt! Jetzt geht's los, denn schließlich muss die Welt von dem neuen Machwerk erfahren!
Verlag UND Autor müssen jetzt gemeinsam daran arbeiten, das Buch unter die Menschheit zu bringen. Möglichkeiten hierfür sind Veröffentlichungspartys (virtuell oder vor Ort), Blogtouren, Leserunden auf Lovelybooks, Verlosungen auf Social-Media-Kanälen, Newsletter, Lesungen an thematisch passenden Orten (virtuell, Friedhof, Schiff, Wald?), regelmäßige Erinnerungsposts auf Facebook, Twitter und Instagram (beschäftigt euch mit den richtigen Zeiten für einen Post - Donnerstag um Mitternacht hilft keinem!) und viele mehr. Es gibt für jeden Anlass einen eigenen verrückten Feiertag, nehmt die zum Anlass, um an euer Buch zu erinnern (sofern es inhaltlich passt - bitte nichts künstlich erzwingen!)
Seid kreativ, sucht euch Gruppen, die zu eurem Buch passen (Vampirroman = True-Blood-Fangruppe?) und bewerbt es bei den richtigen Leuten, nicht bei irgendwem. A propos irgendwer: Beschäftigt euch damit, wie man neue Follower gewinnt. Sucht euch Autorengruppen zu eurem Genre, tauscht euch aus.
Weist Leser auf die verschiedenen Einkaufsmöglichkeiten hin (im verlagseigenen Shop bleibt für alle am meisten hängen!), Bücher sind in jeder Buchhandlung bestellbar, in jedem Onlineshop verzeichnet und kosten neu aufgrund der Buchpreisbindung überall dasselbe - kein Grund, Amazon zu unterstützen, viele Buchhandlungen mit Onlineshops liefern auch kostenlos!
Von der Organisation eines Messeauftritts, bei dem das Buch (und ggfs. der Autor bei einer Lesung) präsentiert werden, wollen wir gar nicht erst anfangen...
5. Fazit
Ihr habt nun also einen kleinen Einblick erhalten, was mit eurem Schätzchen in den Händen des Verlages passiert. Selfpublisher müssen sich das alles selbst zusammensuchen und auch wenn viele diesen Weg gehen, weil sie keinen Verlag gefunden haben, habe ich doch den größten Respekt für diejenigen, die sich das aufhalsen.
Ich hoffe, ihr fühlt euch nun vorbereiteter für die große Buchwelt da draußen?
Hilfreich:
~ TOR Online, Kategorie Schreibwerkstatt
~ Uschtrin veröffentlicht ein Autorenhandbuch, das Magazin Federwelt und hat eine Autorenplattform
~ Findet eure lokale Buchhandlung
~ Fallt nicht auf Druckkostenzuschussverlage herein!!!
~ Vom Schreiben leben gibt Tipps zu Exposé etc.
~ Lexikon der Buchbegriffe: Hiller/Füssel
~ "Wie kommen die Bücher auf die Erde?" von Rainer Groothuis
~ "Praxishandbuch Buchmarketing" von Tanja Röschl
~ "Bücher machen" von Michael Schickerling (überhaupt diese Bramann-Reihe!)
~ "So lektorieren Sie Ihre Texte" von Sylvia Englert
~ Twitter-Thread: Was man dran verdient
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Ralf (Donnerstag, 10 Oktober 2019 18:11)
Endlich mal eine brauchbare und verständliche Checkliste für mein nächstes Buch. Danke für die tolle Ausführung/ Einführung in die Sache.