Die junge Dame mit dem ungewöhnlichen Vornamen Animant hat es wirklich nicht leicht: Sie lebt 1890 in einer höhergestellten Klasse in der Nähe von Bath, ist schon 19 Jahre alt, liest den ganzen Tag und muss sich ständig Vorträge von ihrer Mutter über mögliche Ehemänner anhören. Ihr merkt schon, es kommt ein leichter Zynismus durch. Jedenfalls kommt eines Tages ihr verrückter Onkel zu Besuch. Dieser ist so verrückt, dass er vorschlägt, die junge Taugenichtsin solle doch einen Monat lang versuchen, sich in London als Assistentin des griesgrämigen Bibliothekars der Royal University Library zu bewähren. Eine neue Perspektive, frei von ihrer Mutter und eine riesige Bibliothek - Animant ist dabei.
Ich kann euch leider nicht wirklich sagen, wovon das Buch handelt, nachdem Ani nach London gefahren ist, denn es passiert absolut nichts, das nicht vorhersehbar wäre - und wenn doch, wird es totgeschwiegen. Es steht nichts auf dem Spiel, sie gewinnt nichts, wenn sie den Monat durchhält oder ähnliches.
Seitenlang werden ihre Routinearbeiten in der Bibliothek beschrieben - Bücher einsortieren, etikettieren, katalogisieren, Ausleihe bedienen - nichts spannendes und nichts, das man jeden Tag wieder beschreiben müsste. Ja, Bücher, großartig, wunderschön, bin ich jederzeit dabei, aber doch bitte nicht nur als Deko-Objekte.
Eines Tages fällt ein Überseekoffer durch die Glasdecke - irre! Was ist in dem Koffer, wieso fiel er runter, wer wird ihn abholen, wohin war er unterwegs? All das werden wir nie erfahren, denn dieser Handlungsstrang dient nur dazu, dass Ani sich bei der Rettung der nassen Bücher profilieren kann. Vergeudete Seiten, vergeudete Lebenszeit des Lesers.
Also, nach harter Analyse kann ich euch folgende Handlungsstränge anbieten:
~ Ani soll sich als Assistentin eines Griesgrams bewähren (was sie natürlich tut, weil sie ja so stark und stur und belesen und allen überlegen ist)
~ Ani begegnet dem Griesgram (hat noch jemand Pride & Prejudice gelesen und weiß, wie's weitergeht?)
~ Ani hat einen Verehrer, der so gebildet ist wie sie (wollen wir wetten, ob sie ihn heiratet oder den Griesgram?)
~ Der Bibliothekar verschwindet 2x die Woche nachmittags und niemand weiß, wohin - das muss die neugierige Ani natürlich rausfinden, denn Privatsphäre ist unter ihrem Niveau.
~ Eine Frau mit verrückten Hüten verlangt jede Woche, den Bibliothekar zu sehen.
~ Ein kleiner Junge sucht Medizin für seine kranke Großmutter und durchwühlt die Medizinbücher.
~ Eine junge Frau namens Elisa leiht sich illegalerweise Bücher aus (weil Frauen zwar studieren dürfen, aber ihre Fakultät keine Mittel bekommt).
~ Anis Bruder hat eine jüdische Verlobte, von der die Eltern nichts wissen dürfen. (Ein bisschen Toleranz im Topf muss sein.)
~ Ein fliegender Überseekoffer fällt von einem Luftschifft (die übrigens erst 10 Jahre später abhoben) und zerstört das Glasdach. (Wird nie wieder erwähnt.)
~ Die titelgebende Staubchronik - der Begriff kommt im Buch nicht ein Mal vor.
Ich hatte einen Fantasyschinken erwartet, vielleicht mit Zeitreise oder mit Steampunk (im Klappentext wird eine Buchkatalogisierungsmaschine erwähnt), aber es ist nur eine 550 Seiten lange, völlig vorhersehbare Romance-Schnulze. Ich habe es trotzdem zu Ende gelesen, weil es recht flüssig ging, wenn man sein Hirn ausschaltet und ich hirnlose Lektüre gerade gut brauchen kann. Dennoch wurde mir das Lesevergnügen durch ein schlechtes Lektorat und Korrektorat immer wieder vergällt (Hand hoch: wer kennt den Unterschied zwischen das&dass?). Und als wäre das nicht genug: Dieses Buch hat sich so gut verkauft, dass es nicht nur auf der Indie-Bestsellerliste stand, sondern auch auf der normalen Spiegel-Bestsellerliste. WTF? Ich hoffe, die Fehler haben sie in späteren Auflagen ausgebügelt. Von den vielen neumodischen Redewendungen will ich gar nicht erst anfangen...
Ihr wisst, ich möchte eigentlich immer ein gutes Haar an jedem Buch lassen. Zwei Blätter steht für "Schönes Cover, schnöder Inhalt" und genau so ist es hier auch. Den zweiten Stern gibt's nur wegen Elisas erfrischender Art, dem schönen Cover und den Büchern.
"Ich hatte Bücher der Gesellschaft von Menschen schon immer vorgezogen."
~ Lilith ~
12.07.19
P.S.: Falls ihr was zum Lachen braucht, lest Kay Niebanks Rezension dazu: "Sei still, mein Herz - oh, schweig, mein Hirn". Herrlich!